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11.07.2022

Ute: „Fühle mich nicht mehr verlassen“

Der Spitzenreiter unter den Gründen für Alkoholkonsum ist laut meiner ersten wissenschaftlichen Umfrage „Stressabbau“.

Das Perfide daran: Alkohol baut Stress nicht ab. Dieser Mythos hält sich hartnäckig, aber es stimmt nicht. Im Gegenteil. Alkohol fördert Stress. Ja, wer Alkohol trinkt, fühlt sich im ersten Moment entspannt. Aber wenn’s um unser Hirn geht, gilt die Faustregel: kein Effekt ohne Gegeneffekt. Unser Hirn strebt immer nach Balance, weil es lebenswichtig ist, dass sich unser Hirnstoffwechsel im Gleichgewicht befindet.

Heißt: Diese künstliche, durch die Droge Alkohol ‘erkaufte’ Entspannung, fordert ihren Tribut. Spätestens am nächsten Tag, wenn wir uns noch gestresster fühlen als zuvor. Oft begleitet von Scham, Unsicherheit und Schmerz – und dem Bedürfnis, genau das wieder betäuben zu wollen.

Du kannst diesen Kreislauf durchbrechen. Hier kommen drei Geschichten von Menschen, die das geschafft haben:


Warum lohnt es sich, nüchtern zu sein?

Christine

Heute sind es sechs Monate! Und ich fühle mich ein wenig so, als hätte ich Geburtstag. Die seelischen und körperlichen Verletzungen sind nun größtenteils verheilt und es geht mir wieder gut. Trotzdem vergeht kein Tag, an dem ich nicht voller Ehrfurcht an meinen ersten nüchternen Tag denke. An diesen Schmerz, der damals in mir war und an das schlimme Gefühl der Vernichtung. Dieses Bewusstsein, welcher Hölle ich da entkam, lässt mich immer noch täglich dankbar sein. Es gibt für mich keinen Weg zurück. Ich fühle mich so befreit. In diesem Sinne… auf in das nächste halbe Jahr! 🥰

Oliver

Vor zwei Wochen war ich auf einer Geburtstagsveranstaltung mit meinen alten Kumpels. 16 Stunden am Stück – und ich habe keinen Tropfen Alkohol getrunken. Dem Gastgeber sagte ich vorab, dass ich zwar komme, aber nichts trinken werde, um ihn nicht “vor Ort zu enttäuschen”. Das war sehr gut so, weil ich mich dann ihm gegenüber nicht mehr erklären musste – und er hat sich so sehr gefreut, mich dabei zu haben. Bei den Anderen waren die Reaktionen unterschiedlich. Von anfänglicher Befremdlichkeit verwandelt zu: “Der ist ja doch lustig, obwohl er nichts trinkt.“ Je selbstsicherer ich die alkoholfreien Getränke bestellt und angenommen habe, desto weniger wahrscheinlich wurden “doofe” Kommentare. Und: Es war eine Zeitreise. Auf solchen Veranstaltungen hatte ich früher eben anders Spaß. Es war ein Teil meines Lebens, den ich nicht verurteile. Gleichzeitig ein Teil von mir, der nun Vergangenheit ist. Und das ist gut so.

Ute

Wenn die Verletzlichkeit sich mit Selbstzweifeln paart, ist die Angst nicht mehr weit. So viele Jahre hatte ich Angst. Vor anderen Menschen, vor Nähe, vor dem Fall, vor dem Versagen, vor Ablehnung, vor Gewalt, vor meinen Gefühlen. Ich hatte Angst vor mir selbst. Um diese Angst nicht spüren zu müssen, trank ich. In Gesellschaft, um mich stärker zu fühlen; allein, um nicht meine Schwäche zu fühlen. Ich trank in der Hoffnung, meine Selbstzweifel damit fortspülen zu können. Ich trank, weil ich sah, wie verletzt ich war, tief in mir drinnen. Ich trank, weil ich den Schmerz, den ich zulassen musste, nicht zulassen konnte. Ich trank, weil ich mir nicht vertraute. Und ich konnte mir nicht vertrauen, weil ich trank. Ich war so unsicher, dass ich allem und jedem misstraute. Auf dieser Grundlage ist keine Potenzialentfaltung möglich.

Erst jetzt erkenne ich, wie sehr der Alkohol meine Seele beeinträchtigt hat. Wie sehr er mich zerfraß. Da ich aus oben genannten Gründen schon beizeiten anfing, meine Komplexe durch Trinken zu kompensieren, kenne ich mich als erwachsene Frau gar nicht dauerhaft nüchtern. Nun also lerne ich mich auf wundersame Weise noch einmal neu kennen und sortiere mich innerlich und äußerlich neu. Die tiefsitzenden Herabwürdigungen meiner Kindheit haben dazu geführt, dass ich wenig Selbstwert besaß. Was mich gerettet hat, war meine Stärke. Nur sah ich sie nicht. Ebenso wenig, wie meine Klugheit, meine Empathie, meinen scharfen Verstand, meinen Witz, meine Kreativität, meine Liebesfähigkeit und meine Führungsqualitäten. Dass ich klug bin, habe ich erst vor vier Jahren begriffen! Erst jetzt lerne ich meine Fähigkeiten aktiv kennen und vor allem lerne ich, ihnen zu vertrauen.

Der Zustand der latenten Dauer-Panik weicht nunmehr einer inneren Ruhe und Gelassenheit. Denn ich weiß jetzt, dass ich richtig bin. Dass ich richtig gut bin! Dass ich etwas zu sagen und zu geben habe. Dass ich Vorbild sein sowie anderen Halt und Orientierung bieten kann. Dass ich das, was schon immer in mir war, auch ausstrahle: Kraft, Souveränität, Liebe. Mit dieser neuen inneren Stabilität stabilisiere ich auch mein Umfeld. Und so erlebe ich gerade eine bestärkende Wechselwirkung von innen und außen. Wie lange habe ich unter mir und meinen Selbstzweifeln gelitten. Nun wachse ich neuem Selbstvertrauen entgegen, einer zarten Pflanze noch, die unermüdlich aus der Erde schiebt und bereits erste Knospen entwickelt. Ich fühle mich nicht mehr verlassen. Denn ich kann mich getrost auf mich verlassen. Und so verlasse ich das Klima der Angst und gebe mich mir hin. Ich werde getragen. Von mir. Und vom Leben.


In meiner aktuellen Folge „Gesichter hinter der Sucht“ erzählt diesmal die wunderbare Diana ihre Geschichte. Diana, die eigentlich immer supergesund gelebt hat – bis auf diesen einen Faktor, den sie nie so richtig kontrollieren konnte. Was das wohl sein könnte. 😉 Zum Video geht’s hier entlang.


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