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11.07.2020

Das kannst Du machen, wenn alles zu viel wird

Ich hatte in letzter Zeit unfassbar Bock zu rauchen. Sobald mir Zigarettenqualm in die Nase stieg, bekam ich Lust, mir selbst eine anzustecken. Was mich, gelinde gesagt, überrascht hat. Ich rauche ja nun auch seit knapp vier Jahren nicht mehr und eigentlich gibt es für mich kaum etwas Widerlicheres als den Geruch von Zigarettenqualm – wobei doch, den Geruch von kaltem Zigarettenqualm, aber das fasse ich jetzt mal zusammen. Allein bei der Vorstellung, wieder rauchen zu müssen, wieder diesen Druck auf der Lunge zu spüren, unter dieser schlechten Kondition zu leiden, Mundgeruch zu haben, stinkende Finger und Kleider, vergeht’s mir. Und dennoch häuften sich diese Momente, in denen ich kurz dachte: Boah jetzt, wie geil wäre das.

Alarm

Was war denn da los? Ich griff zu einem meiner Abstinenzwerkzeuge: hinsetzen, zur Ruhe kommen und schauen, woher dieser Drang plötzlich kommt. Groß zu suchen brauchte ich nicht. Es war einfach alles zu viel. Mein Unternehmen wächst. Das ist wunderschön, aber damit wachsen auch meine Aufgaben. Dass ich mir seit zwei Jahren nicht einen einzigen freien Tag genommen habe – geschenkt. Das ist so, wenn man gründet. Mir ist das klar und es macht mir nichts aus, weil ich liebe, was ich tue. Aber dass aus zehn Stunden täglich regelmäßig 14 wurden. Dass ich in den vier Monaten, in denen mein Baby da ist, kaum eine Nacht nicht gearbeitet habe. Und dass das trotzdem alles oft ’nur‘ dazu reichte, den Regelbetrieb aufrecht zu erhalten, deprimierte mich. Immer häufiger fehlte mir die Zeit dazu, das zu tun, was ich am liebsten mache – und worin ich am besten bin: konzipieren, recherchieren, exzerpieren, formulieren, verstehen, durchdringen, in Frage stellen, einordnen, umdenken, aufschreiben, verwerfen, nochmal neu schreiben, auf den Punkt bringen und Einzelteile so zusammensetzen, dass sie Sinn ergeben.

Und weil mir dazu die nötige Zeit fehlte, verlor ich langsam auch die Energie für alles andere. Und bekam Lust zu rauchen. Es musste sich dringend etwas ändern. Also fragte ich mich: Was kann ich tun, damit ich wieder genügend Zeit habe? Auch hier musste ich nicht lange überlegen: Arbeit abgeben. Aber oh, darin bin ich ganz schlecht. Vor allem, weil ich all die anderen Dinge – mal abgesehen von Buchhaltung – wirklich gern mache. Aber mei, es half ja nichts.

Wo ich Zeit schaffe

Als erstes kümmerte ich mich um jemanden, der die finale Podcastproduktion übernimmt. Um zu verdeutlichen, was das heißt, stell Dir bitte ein Haus vor. Bislang war ich Architektin, Projektleiterin und Handwerkerin in einem. Von nun an konzentriere ich mich auf Architektur und Projektleitung. Heißt: Ich recherchiere und konzipiere die Folge, organisiere und führe die Interviews, schneide sie vor, fasse alles in einem Skript zusammen und spreche meinen Part ein. Dieses Material gebe ich dann weiter, für den Bau und den Anstrich. Das ist bereits passiert. Bei der letzten Podcastfolge hat sich schon eine Mitarbeiterin um dieses sogenannte Editing, Mixing und Mastering gekümmert. Sie hat also meine vorbereiteten Tonelemente final geschnitten, zusammengebaut, lautstärkentechnisch aufeinander abgestimmt, Störgeräusche entfernt und eine technisch einwandfreie Version herausgerechnet, die den Vorgaben der Podcastplattformen entspricht. Sie ist Audioproduzentin und saugut in dem, was sie tut. Es lief großartig. Und ich konnte zum ersten Mal seit langem wieder etwas atmen. Aber es reichte noch nicht. 

Im nächsten Schritt habe ich mir jemanden gesucht, der mich bei der Organisation und Moderation meiner Facebookgruppe unterstützen wird. Noch ist es nicht so weit, aber in Zukunft hilft mir eine weitere großartige Frau zum Beispiel dabei, neue Mitglieder hinzuzufügen und darauf zu achten, dass der Umgangston so außerordentlich freundlich und herzlich bleibt. Oder dabei zu schauen, ob jemand versehentlich die Gruppenregeln verletzt und entsprechend zu handeln, wenn das passiert. Inhaltlich bin ich weiterhin präsent, aber durch diese administrative Unterstützung gewinne ich ebenfalls mehrere Stunden pro Woche – und vor allem Platz im Kopf.

Ein dritter Schritt bestand und besteht darin, in diesen Blogposts zunehmend andere Menschen zu Wort kommen zu lassen. Auch das verschafft mir Raum, zum Beispiel um aufbereitete Inhalte hier weiterhin kostenlos publizieren zu können. Dieser Schritt fiel mir im Gegensatz zu den ersten beiden Maßnahmen auf Anhieb leicht. Zum einen, weil eine gewisse Form von Öffentlichkeit vielen dabei hilft, ihre Abstinenz zu festigen. Zum anderen, weil ich immer wieder begeistert davon bin, wie schön viele meiner Teilnehmer*innen und Hörer*innen schreiben. Ich dachte schon so oft: Das muss raus in die Welt! Das würde so vielen was bringen! Ein weiterer dieser Texte stammt von meiner 30-Tage-Programmteilnehmerin Elisabeth. Ich teile ihren Text hier nach Rücksprache leicht abgeändert.

Elisabeth

Nun sind es schon drei Wochen Abstinenz, YAY! Ich freue mich am meisten über meine psychische Stabilität. Dass ich mich nicht ständig aus meinem Orbit katapultiere, selbst sabotiere und alle drei Tage wieder neu zusammensetzen muss, sondern morgens schon komplett aufwache. Das ist schön.

Suchtdruck hatte ich gar keinen. Aber da mir das so einfach fällt, besteht eben immer auch die Gefahr, dass ich den Alkohol unterschätze. Beim Rauchen aufhören war das auch immer so. Bin ich erst mal entschieden, fällt es mir nicht schwer. Deshalb fange ich dann aber auch immer wieder an. „Es ist ja so einfach wieder aufzuhören.“ Aber das ist es eben nicht. Das habe ich sonst immer gerne wieder vergessen.

Letzte Woche habe ich erfahren, dass der Mann, mit dem ich in den letzten Jahren vier Mal eine Affäre hatte, jetzt eine Freundin hat. Schwups, Seele geht exterior spazieren, Herzschmerz, aua, wohin mit all den Gefühlen und den unerfüllten Sehnsüchten? Mein Kopf ist gerade ein ziemliches Gefängnis, in dem immer nur die gleichen Gedanken kreisen, wie Bienen im Glas, die durch die Scheibe rauswollen, aber immer verrückter und lauter gegen das Glas donnern. Wenn ich nur den Deckel aufschrauben könnte. Dann könnten sie wegfliegen. Es ist schwer, wenn das Herz so schmerzt, richtig schwer.

Warum ich dir das schreibe ist, dass ich trotzdem dabei bleibe. Du schreibst in deiner Mail an Tag 1, dass Theorie alleine nicht reicht. Um eine dauerhafte Veränderung herbeizuführen, muss man seine Gewohnheiten ändern. Und dafür muss man täglich etwas tun. Damit das gelingt, bedarf es am Anfang Disziplin.

Und ja, ich reagiere dieses Mal anders. Ich ertränke den Schmerz nicht, trinke ihn nicht weg. Ich halte mich einfach mal aus. Die Disziplin scheint sich verankert zu haben, ohne sich wie Disziplin anzufühlen. Das ist auch schön, richtig schön.


Hach, das ist wirklich schön.

Und weißt Du, was noch schön ist? Ich mache am Wochenende einen Familienausflug an den Tegernsee, lasse das Handy mal im Auto und freue mir ’nen Ast ab. Danke fürs Lesen. Danke, dass Du mich auf meinem Weg begleitest.


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