24.06.2024

Sie strahlen viel zu sehr!

Vorletzte Woche hat meine Mitarbeiterin Alex an vier Standorten in Süddeutschland einen Vortrag gehalten. Wie das für sie war und was sie am letzten Tag kurz aus der Fassung brachte, erzählt sie Dir jetzt selbst:


Alex

Vor der Reise war ich aufgeregt, nervös, aber voller positiver Energie. Ich hatte die Chance, darüber zu sprechen, wie lohnenswert ein Leben ohne Alkohol ist – und diese Chance wollte ich nutzen. Die Menschen bewegen und begeistern, aber auch zum Nachdenken bringen. Also habe ich sowohl mein Herz als auch meinen Verstand in diese Vorträge gepackt und bin los. Die Reaktionen waren überwältigend und ich bin noch heute, einige Tage später, ganz beseelt davon.

Mir ist so viel Wohlwollen, so viel Verständnis entgegengebracht worden, das ist unbeschreiblich. Die Menschen hatten Tränen in den Augen und haben gelächelt. Ich habe so viele schöne Gespräche geführt und Geschichten von Menschen gehört, die mich im Innersten berührt haben. Die Organisator:innen der Veranstaltungen stecken so viel Energie und Herz in das Thema und haben mich herzlichst empfangen.

Und ich habe auch einige von euch aus der OAmN Onlinegruppe kennenlernen dürfen – plötzlich standet ihr da, habt euch vorgestellt und wir haben uns fest umarmt. Ihr habt gesagt, „wir sind der Alex-Fan-Club“, und dann haben wir gemeinsam gelacht und gestrahlt und hätten uns ewig weiter unterhalten können. Ihr seid so fantastisch.

„Gestrahlt“ ist das Stichwort, was mich zu dem Teil führt, mit dem ich nicht gerechnet hätte. Folgende Wortmeldung hat mich doch im ersten Moment umgehauen. Ich zitiere aus dem Gedächtnis:

„Sie strahlen viel zu sehr. Das ist alles nicht echt. Ich mache mir Sorgen um Sie, Sie tun nur so stark. Der nächste Rückfall wird kommen. Sie waren nie ganz am Boden, Sie wissen nicht, wie das ist und nehmen das viel zu locker.“

Bäm. Ich stand da vorne und mir schossen so viele Gedanken gleichzeitig in den Kopf, die ich in Sekundenschnelle ordnen musste. Kurze Ohnmacht und Wut über diese Worte mischten sich mit Verständnis, was diese Person wohl bewegt hat, das zu sagen oder zu denken. Traurigkeit über diese Aussage. Hoffnung, jetzt die Chance zu haben, dazu etwas zu sagen. Ein Statement abzugeben. Aber wie in Worte fassen, wie richtig ausdrücken? Dann spürte ich, wie die Selbstzweifel wieder verschwanden. Die Sätze formten sich plötzlich wie automatisch und ich antwortete sinngemäß:

„Vielen Dank für Ihre Wortmeldung und dass Sie sich Sorgen machen. Aber nein, ich tue nicht nur so stark, ich diesem Moment fühle ich mich so stark. Und deswegen strahle ich auch so. Weil ich stolz bin, hier zu sein, weil ich froh und dankbar bin, hier sprechen zu dürfen. Es gibt Tage, an denen strahle ich nicht, die sind genauso echt. Aber ich weiß inzwischen, wie ich damit umgehen kann. Das kann ich viel besser, seit ich nüchtern bin. Warum sagen Sie, dass der nächste Rückfall kommen wird? Warum sagen Sie, dass ich nicht wisse, wovon ich rede, weil ich noch nicht ganz am Boden war? Ich bin heute stabil, aber wenn Sie so etwas jemandem sagen, der noch hadert, kann das der Anstoß zum Rückfall, der Auslöser für extreme Selbstzweifel sein. Wollen wir uns denn nicht gegenseitig stärken und motivieren, statt uns klein zu machen? Wollen wir nicht eine stärkende Botschaft senden und uns auf das konzentrieren, was gut tut? Wir sind doch nicht in einem Konkurrenzkampf, sondern sitzen in einem Boot. Und jede und jeder hat das Recht, nüchtern zu leben und damit glücklich zu sein, egal ob er oder sie schon am Boden war oder erst auf dem Weg dorthin.“

Meine Hände zitterten noch ein wenig. Im Saal brach Applaus aus.

Nach dem Vortrag kam der Mensch zu mir, der diese Wortmeldung abgegeben hat. Wir haben gesprochen, er hatte Tränen in den Augen, wir haben uns umarmt. Und ich habe noch etwas gelernt: Die Menschen meinen oft nicht das, was sie sagen – es steckt so viel mehr dahinter. So viele Gefühle und so viel Verletztheit. Es lohnt sich immer, genauer hinzuschauen und zuzuhören.


Alex hat einen Nerv getroffen und als ich mir die Sprachnachricht anhörte, die sie mir auf dem Heimweg geschickt hat, dachte ich nur: Das kenne ich so gut. Diese Reaktionen, die schönen und die harten, diesen extremen Mix aus Emotionen, den einen auf solchen Bühnen gern mal überkommt. Und diese Gewissheit, die einen danach erfasst: Genau deshalb machen wir das. Um Augen und Perspektiven zu öffnen, um Hände zu reichen. Um wieder und wieder zu sagen, zu schreiben, zu leben:

Du musst nicht erst am Boden sein, Du darfst jederzeit mit dem Trinken aufhören. Du darfst strahlen. Du darfst glücklich sein und Dich gesund fühlen. Das ist schön, das tut Dir gut! Und wir stehen hinter Dir.


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