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18.03.2024

Vorher und Nachher

Ich liebe Vorher-Nachher-Bilder. Daher habe ich mir überlegt, hier eine Reihe zu starten, in der wir Alkoholzeit-Bilder mit Abstinenz-Bildern kombinieren und jeweils einen kurzen Text dazu schreiben, wie wir uns beim jeweiligen Bild gefühlt haben. Ich mache mal den Anfang. In den kommenden Wochen folgen ein paar Menschen aus meinem Team – und falls Du Lust hast, mitzumachen, melde Dich gern bei uns.


Auf dem ersten Bild bin ich 29 und stehe kurz vor einer Recherchereise nach Indien. Ich brauchte ein Passbild, war total verkatert, bin aber ein Passbild schießen gefahren. Weil ich mich immer irgendwie zu den Dingen prügeln konnte, die sein mussten. Wenn Du mich zu dieser Zeit gefragt hättest, was ich vorhabe, hätte ich Dir die Story erzählt von einer abenteuerfreudigen, weltoffenen jungen Frau, die sich ihre Kamera und ihren Notizblock schnappte, um ein Land zu erkunden, das ihr vollkommen fremd war. Die angstfrei durch Slums lief, in Neu-Delhi tinderte, sich verliebte, einen Heiratsantrag bekam und abreiste. Alles davon stimmte – und doch war es nicht wahr. Denn da war noch eine Geschichte. Eine, die ich Dir nicht erzählt hätte. Die von einer getriebenen, verzweifelten jungen Frau, die sich in bedrohliche Situationen stürzte, weil sie überhaupt keine Ahnung mehr davon hatte, was es heißt, auf sich zu achten. Die nachts durch Slums lief, weil sie keinen Zugang mehr hatte zu Gefühlen wie Angst. Oder Freude. Die sich in ihr Tinder-Date in Neu-Delhi verliebte, weil sie sich in jeden verliebte, der auch nur ein bisschen von ihrer inneren Leere füllen konnte. In jeden, der nicht sah oder ignorierte, wie kaputt sie hinter ihrer Fassade war.

Auf dem zweiten Bild bin ich 38, ich habe es letzte Woche in meinem Büro geschossen. Ich leite heute eine Firma, die ich liebe, mit einem Team, das ich liebe. Ein paar Meter von mir entfernt sitzt mein Mann. Den liebe ich auch, sehr. Er muss nicht wegschauen, nichts ignorieren, weil ich nichts mehr zu verstecken habe. Ich schwebe nicht auf rosa Wolken mit Glitzerauspuff durch meinen Alltag, aber ich mag mein Leben, es bereitet mir Freude. Natürlich gibt es darin Dinge, die ich ungern tue. Es gibt stressige Phasen und herausfordernde Gefühle, aber das ist ok. All das kostet mich nicht ansatzweise so viel Kraft wie früher, mit Höllenkater und null Orientierung. Ich bin erwachsen geworden und das fühlt sich schön an. Zeit mit mir zu verbringen fühlt sich für mich mittlerweile schön an. Ich komme gut zurecht mit der Frau auf dem rechten Bild und all das hätte die Frau auf dem linken Bild nicht für möglich gehalten. Aber das ist die Magie, die Abstinenz entfalten kann. Nüchtern lernst Du zu erkennen, was Du willst – und was wirklich nicht. Es kristallisiert sich heraus, was Dich erfüllt, wer zu Dir gehört – und wer wirklich nicht. Du fühlst Deine Gefühle wieder. Ja, auch die Angst. Aber eben auch Freude, Stolz, Interesse, Leichtigkeit und tiefe, aufrichtige Liebe. Und mit den Jahren gesellt sich dazu noch so eine schöne Gelassenheit, weil Du weißt, wer Du bist und dass Dich so schnell nichts mehr umhauen kann. Denn immerhin bist Du abstinent geworden. Wer das schafft, kann fast alles schaffen.

Wenn Du noch nicht an dem Punkt bist, wenn Du Dich noch eher mit der Frau auf dem linken Bild identifizieren kannst als mit der auf dem rechten: Mach weiter. Geh weiter. Es lohnt sich mehr als alles andere.


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