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14.03.2022

Nina: „Es ging nicht mehr“

Es flasht mich immer wieder zu sehen, wie viele Leistungsträgerinnen und Leistungsträger in unserer Gesellschaft ein Alkoholproblem haben. Wie viele von uns nach außen hin nahezu perfekt erscheinen, obwohl hinter der Fassade Chaos herrscht. Bei meiner Programmteilnehmerin Nina war es auch so. Sie hatte alles – und doch lag sie eines Morgens mit einer Gehirnerschütterung im Bett. Sie hat mir erzählt, wie es dazu kam. Warum sie aufhören wollte zu trinken. Ich darf es hier mit Dir teilen:


Nina

Da gab’s vorher, am “Tag Null”, eigentlich überhaupt gar keinen Auslöser. Es war ein ganz normaler Wochentag. Also nicht, dass ich einen furchtbaren Tag gehabt hätte, den ich irgendwie vergessen musste oder so, sondern es war einfach alles ganz normal. Und dann gab’s bei mir diesen Kontrollverlust, dass ich gedacht habe: “Oh, jetzt will ich aber noch mal schnell was trinken vorm Abendessen, bevor mein Mann nach Hause kommt. Noch schnell, schnell, heimlich was trinken.” Ich habe ja meistens Wein getrunken und an dem Tag habe ich’s dann auch noch mit etwas Hartem aufgefüllt.

Wir hatten ne Hausbar, die war jahrelang unangetastet. Da standen Wodkaflaschen. Immer irgendwelche Geschenke, die habe ich nie selber gekauft. Und am diesem Tag dachte ich, “okay, trinkst du mal was davon”, weil ich keine neue Weinflasche aufmachen wollte. Abends um neun, da hat mein Sohn schon geschlafen, hab ich nochmal was nachgelegt. Und dann kann ich mich nicht mehr genau erinnern. Nur noch, dass ich dann einfach über meine eigenen Füße gestolpert bin und mir den Kopf auf dem Boden aufgeschlagen habe. Die Narbe habe ich noch immer. Ich kann nur froh sein, dass ich nicht nebenan war und unsere Treppe runtergefallen bin… die führt anderthalb Etagen als Steintreppe nach unten. Mein Mann hat das Blut aufgewischt, und ich habe mich ins Bett gelegt und am nächsten Tag so geschämt.

Es ging nicht mehr. Ich wusste gar nicht, wohin ich mit mir sollte. Am liebsten hätte ich mich selber verlassen. Und ich habe gedacht, es kann nicht sein, du hast alles in deinem Leben. Du hast alles. Du hast liebevolle Eltern. Du hast einen tollen Mann. Du hast das tollste Kind der Welt und du stehst finanziell toll da. Du hast einen tollen Job. Ich hatte mir nebenbei noch eine Selbstständigkeit aufgebaut, also neben meinem eigentlichen Beruf. Das habe ich alles irgendwie nebenbei gemacht. Immer mit hängender Zunge zwar, aber ich hatte so viele Sachen, auf die ich hätte stolz sein können. Und dann liege ich da mit blutverschmiertem Kopf und wäre am liebsten gestorben.

Dass es mir an diesem Morgen körperlich so schlecht ging, war schlimm, aber nicht das Schlimmste. Am schlimmsten war dieses Gefühl der Panik. Und dass alles, was man hat, so fragil ist. Als wenn man es auf gläserne Füße stellt und man eigentlich nur noch warten kann, bis irgendetwas passiert. Dass diese Füße weggestoßen werden, dass sie brechen. Und man weiß, dann rutscht alles den Abhang runter. Dass dieses Gefühl vom Alkohol kommt, war mir nicht klar. Ich hatte Angst vor Kleinigkeiten, vor Alltäglichkeiten. Sei es nun, dass Post ankommt. Mich hat Post geängstigt, obwohl ich jetzt kein Problem hatte, Rechnungen zu bezahlen oder sonstiges. Ich hatte Angst vorm puren Leben.


Heute ist Nina über ein Jahr nüchtern. Ihre Hausbar hat sie entsorgt, mit folgendem Kommentar:

“Frei nach Marie Kondo (japanische Aufräumspezialistin):
Bereitet mir der Gegenstand Freude? (Dann darf er bleiben)
NEIN!
Keine Trauer, kein Schmerz. Nur pure Erleichterung, dass das nicht mehr Teil meines Lebens ist. Und Dankbarkeit.“

Vor ein paar Tagen ist eine NDR-Doku zum Thema „Alkohol: Erfolgreiche Frauen und die Sucht“ erschienen. Kleiner Spoiler: Mich kannst Du darin auch sehen. 🙂 Falls Du Lust hast, sie Dir anzuschauen, bitte hier klicken.


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