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28.03.2022

Alkohol macht egoistisch

Vor ein paar Wochen habe ich in der Süddeutschen Zeitung ein Interview mit Rufus Wainwright gelesen. Rufus ist Sänger und Komponist, schreibt sowohl Popsongs als auch Opern, und: Er lebt nüchtern.

Ich fand das ganze Interview lesenswert, aber eine Stelle hat mich noch über Tage hinweg beschäftigt. Da erzählt er von einem Sommerabend mit seiner Tochter Viva, die zu diesem Zeitpunkt vier oder fünf Jahre alt ist. Rufus trinkt an diesem Abend paar Gläser Rosé zum Essen. Danach will er mit Viva einen Film anschauen. Dann passiert Folgendes, ich zitiere aus dem Interview:


Rufus Wainwright

Plötzlich fällt mir dieser Judy-Garland-Film ein, den ich immer schon sehen wollte. Der soll es sein. Aber Viva, die ja wirklich noch sehr klein ist, möchte keinen Judy-Garland-Film sehen, sondern lieber, sagen wir, „Der König der Löwen“. Und dann steigere ich mich plötzlich in irgendwas hinein, argumentiere gegen meine vierjährige Tochter, als wäre sie mein Gegnerin, fühle mich von ihr zurückgewiesen, als Mensch, als Künstler. Denn ich habe Songs von Judy Garland gesungen, sie war eine prägende Künstlerin für mich, wie kann meine Tochter das zurückweisen, ich fühle mich ungeliebt und ungesehen, verwandle mich sozusagen vor meinem Kind in Judy Garland, fühle mich nicht nur von ihr, sondern von der ganzen Welt nicht richtig wertgeschätzt… es ist wirklich vollkommen lächerlich. Und ich war ja nicht mal richtig besoffen. Ich habe es nicht krachen lassen, das waren drei Gläser Rosé.


Ich hab selten einen Absatz gelesen, der so gut verdeutlicht, wie unfassbar egoistisch Alkohol macht. Und ich habe mein Alkohol-Ich sofort darin wiedererkannt.

Wie oft habe ich mich persönlich angegriffen gefühlt, wenn eine Freundin zu mir gesagt hat: „Du, ich hab jetzt keine Lust mehr, noch in die nächste Bar ziehen“? Wie oft habe ich mich betrunken über Kleinigkeiten aufgeregt und selbstgerechte, verletzende Sätze ausgespuckt? Wie oft habe ich mitten in der Nacht den erstbesten Freund aus dem Bett geklingelt, weil ich jetzt telefonieren wollte – scheißegal, ob der am nächsten Tag arbeiten muss? Wie oft hab ich Anrufe meiner Familie weggedrückt, weil ich jetzt nicht reden, sondern lieber trinken wollte? Wie oft bin ich über die Bedürfnisse anderer hinweggetrampelt, weil ich nur noch meine eigenen gesehen habe?

Sehr oft.

Irgendwann war ich tatsächlich der Meinung, dass sich alles um mich dreht. Dass Leute mich angreifen wollen, wenn sie nicht meiner Meinung sind. Dass sie meine Gegner sind, sobald sie mich kritisieren oder was anderes wollen. Und aus ein, zwei vermeintlichen Gegnern entsteht betrunken dann sehr schnell das Gefühl: Fuck, die ganze Welt ist gegen mich. Ich bin so allein, niemand versteht mich.

Auch, wenn’s gerade eigentlich nur darum geht, dass ein vierjähriges Kind lieber einen Disney-Film anschauen möchte.

Es ist so befreiend, diesen Egotrip verlassen zu können. Zu merken: Es geht gar nicht immer um mich. Nicht alles ist eine Reaktion auf mich. So vieles ist einfach nur in meinem Kopf. Und ich muss nicht alles glauben, was ich denke.

Das ganze Interview mit Rufus Wainwright findest Du hier (hinter einer Bezahlschranke).


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