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17.01.2022

Rabea: „Schubladendenken hat gesessen“

Heute darf ich eine Geschichte mit Dir teilen, die sehr gut verdeutlicht, wie lange wir uns selbst belügen können – und dass unser Umfeld uns das in Bezug auf Alkohol oft sehr leicht macht.

So wie bei Rabea, die lange dachte: Die anderen, das sind die „Suchtis“. Nicht ich.


Rabea

Die letztendlich größte Motivation mit dem Trinken aufzuhören, war die Tatsache, dass meine Ehe, das Sorgerecht um meine Kinder, meine berufliche Zukunft und mein Leben auf dem Spiel standen. Klingt dramatisch, war auch so. An dem letzten Tag mit Alkohol in meinem Leben (09.08.2019) bin ich mit 2,7 Promille und einer massiven Tablettenintoxikation in suizidaler Absicht im Krankenhaus gelandet. Dieses Ereignis hat mir im Nachhinein das Leben gerettet, denn das war mein Weckruf.

Wie ich aufgehört habe, war allerdings eine Odyssee, denn ich hatte (selbstverständlich, wie alle anderen ja auch) schon lange vor meinem endgültigen Weckruf gemerkt, dass etwas schief lief. Ich hatte auch mehrere – im Nachhinein unehrliche und scheinheilige – Versuche unternommen, gesund zu werden.

Mit Anfang 20 hatte ich die Diagnose Depression bekommen und auch schon eine Verhaltenstherapie gemacht. Daher hatte ich in den letzten zwei Jahren vor Beendigung meiner Trinkerkarriere immer wieder Aufenthalte in psychiatrischen Kliniken wegen meiner Depression. Dass ich heimlich trinke, hatte ich den TherapeutInnen natürlich nie erzählt. Erst gegen Ende sind meine Lügenmärchen nach und nach aufgefallen und ich konnte niemandem mehr (vor allem auch mir selbst nicht) etwas vormachen. Ich hatte so krampfhaft versucht, dieses Bild von mir zu zeichnen – von der armen Frau, der so viele schlimme Dinge passiert sind, dass es doch selbstverständlich ist, dass sie trinkt. So nach dem Motto: so was kann doch keiner nüchtern aushalten. Ich bin in meinem Selbstmitleid zerflossen. Die Trinkerei hat jedoch teilweise genau zu den Konflikten geführt, wegen denen ich so traurig und zerstört war und hat dadurch die Depression und das Selbstmitleid gestärkt. Trotzdem hab ich mich bis zum Schluss dagegen gewehrt, eine Alkoholikerin zu sein. Ich fand das Wort schon ganz schlimm. Und im Nachhinein kann ich mir das auch gut erklären.

Ich bin selbst Ärztin. Am Anfang meiner Ausbildung arbeitete ich erst in einer psychosomatischen Klinik und dann in einer Notaufnahme. In beiden Bereichen waren Suchterkrankungen negativ behaftet. Die „Suchtis“ waren anstrengend, haben viel gelogen und es war schwer, mit ihnen zu arbeiten. In der Notaufnahme war das alles noch mal eine Spur schwieriger. Mir wurden total apathische Menschen mitten in der Nacht in die Notaufnahme „gekippt“, die Sprüche von manchen Sanis und Pflegern waren abwertend und die Menschen, die es betraf, konnten eigentlich froh sein, dass sie es im Rausch nicht mitbekommen haben. Dieses Stigma, dieses Schubladendenken, hat so gesessen bei mir. Selbstverständlich wollte ich auf keinen Fall mit DENEN in eine Schublade gesteckt werden. Ich trank ja aus einem ganz anderen Grund und mir ging es ja wirklich schlecht und außerdem war ich nicht so abgefuckt, dass ich in der Notaufnahme lande… bis ich total abgefuckt und voll in der Notaufnahme gelandet bin.

Ich hab erst zu diesem Zeitpunkt verstanden, dass ich selbst die Verantwortung für mich und meine Situation übernehmen muss. Dass nur ich dafür sorgen kann, dass ich gesund werde, dass ich aus dieser Opferrolle rauskommen muss und dass mir keiner etwas abnehmen kann oder mich heilen kann. Das kann nur ich allein. Das klingt vielleicht banal, aber mich traf diese Erkenntnis echt hart. Aber ich hab’s angepackt und bin nach 1,5 Jahren ambulanter Reha wieder zu dem Menschen geworden, den ich so vermisst habe.

Und auf alle Fälle bin ich zu einem Menschen mit ganz viel Weisheit und Lebenserfahrung geworden, das ist so wertvoll. Mir ist klar geworden, dass ich in meiner Doppelrolle als Betroffene und Ärztin beide Seiten der Medaille kenne, und dass das was ganz Besonderes ist. Ich bin mir sicher, dass ich meinen PatientInnen sehr kompetent helfen kann.
Ich werde Deine Methode auf alle Fälle als Therapieoption mit anbieten. Denn diese Empathie und diesen liebevollen Blick auf jemanden, der sich ganz furchtbar fühlt, brauchen die „Suchtis“. 🙂

Mittlerweile habe ich vor zwölf Wochen unser drittes Kind bekommen. Ich bin sehr dankbar, dass ich meinen Mann und die Kinder behalten durfte und dass ich endlich das Happy End habe, von dem ich immer geträumt habe.


Von Schubladendenken und Klischees können wir wohl alle ein Lied singen. Leider. Denn ja, es hindert uns daran, Verantwortung für uns zu übernehmen und dafür zu sorgen, dass es uns so früh wie möglich besser geht. Umso wichtiger also, dass diese Klischeebilder aus unseren Köpfen verschwinden. Ich habe auf meinem YouTube-Kanal ein neues Format gestartet, um das noch stärker voranzutreiben.

Es heißt: „Gesichter hinter der Sucht“. Darin wirst Du Menschen kennenlernen, die auch nicht dem typischen Bild entsprechen. Deren Umfeld gesagt hat: „Alkoholproblem? Du? Niemals!“ – und die trotzdem süchtig waren. Menschen, die Dir ihre Geschichte ganz offen erzählen, um Dir zu zeigen: Du bist nicht allein.

Den Anfang macht die wunderbare Rebecca. Wenn Du Lust hast, Dir das anzuschauen, dann bitte hier entlang.


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