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11.04.2020

Die beste Geisteshaltung, um Ostern im Lockdown nüchtern zu überstehen

Normalerweise hätten meine Eltern zu Ostern ihren Enkelsohn kennengelernt. Wir wären zu meinen Schwiegereltern gefahren, hätten einander umarmt, gemeinsam gelacht und die Frühlingssonne genossen. Ich hätte meinen Kleinen mit einem riesengroßen Stück selbstgebackenem Kuchen vor mir gestillt, während meine Tochter mit ihren Cousinchen durch den Garten getigert wäre, um Schokoladeneier zu suchen. Ostern im Lockdown fühlt sich total verkehrt an. Oder anders gesagt: Es schmerzt.

Die Rückkehr der Gefühle

Wenn wir nüchtern werden, bekommen wir unsere Gefühle zurück. Das ist wundervoll und beschissen zugleich. Meine Lieblingswissenschaftlerin Brené Brown sagt in diesem Zusammenhang gern: „We cannot selectively numb emotions.“ Sucht betäubt nie nur die schwierigen Emotionen, sondern immer auch die schönen. Umgekehrt gilt dementsprechend aber natürlich auch: Ohne Alkohol kommen die schönen Gefühle ebenso zurück wie die schwierigen. Damit zurechtzukommen ist eine der größten Herausforderungen, die unsere Abstinenz für uns bereithält. Vor allem am Anfang ist es schwer, diese negativen Gefühle ungefiltert zu ertragen. Nach Jahren des Wegtrinkens wissen wir oft gar nicht mehr, wie das geht. Da stehen wir plötzlich mit all der Emotion und glauben, uns selbst keine Sekunde länger aushalten zu können. Zu routiniert war der Griff zum Glas bei jeglichem Anflug von Einsamkeit, Sehnsucht, Selbstzweifel oder Überforderung. Es gibt einen Spruch, der mir in meinen ersten nüchternen Wochen und Monaten unglaublich geholfen hat – und den ich auch heute noch auspacke, zum Beispiel an diesen Osterfeiertagen:

It’s ok to not be ok

Es ist ok, auch mal nicht ok zu sein. Natürlich ist es das. Wir sind Menschen. Angst, Sorge, Wut und Trauer gehören ebenso zu unserem emotionalen Spektrum wie Zuversicht, Freude oder Hoffnung. Oft hilft es schon, sich das einfach mal klarzumachen. Permanent zufrieden und glücklich zu sein, hätte mit dem realen Leben genauso wenig zu tun wie der benebelte Zustand, den wir hier alle hinter uns lassen wollen. „It’s ok to not be ok.“ Dieser Satz hilft ungemein dabei, auch die dunklen Emotionen anzunehmen, sie als Teil von uns zu akzeptieren. Er relativiert ihre Bedrohlichkeit. Also sei ruhig traurig und wütend. Fühl Dich ruhig hilflos und ungerecht behandelt. Fühl es mit dem Wissen, dass das ok ist.

Achte dabei nur darauf, Dich nicht darin zu verlieren. Nach ein paar Tagen oder Stunden wird es Zeit, Herz und Blick wieder für die Schönheit zu öffnen, die diese Welt für uns bereithält. In meinem Fall ist das die Sonne, die nicht nur im Garten meiner Schwiegereltern scheinen wird. Es ist der Skype-Call, den ich mit meinen Eltern führen werde, um ihnen zu zeigen, wie toll ihr Enkel schon seinen Kopf heben kann. Es sind die Schokoladeneier, die meine Tochter in ihrem Kinderzimmer finden wird. Es ist das ambivalente Gefühl von Glück und Sehnsucht, mit dem ich meiner kleinen Familie den Kuchen vom Bäcker servieren werde. Es sind die Facetten des Lebens, die meine Abstinenz mir geschenkt hat.


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