16.06.2025

Andrea: „Nie gelernt, dass es auch ohne geht“

„Ich habe kein Alkoholproblem, ich trinke ja ganz normal.“ Begegnet Dir dieser Satz auch ab und zu in Deinem Umfeld? Oder in Deinem Kopf? Dann hinterfrag diese Norm ruhig mal.

„Normal“ bedeutet nicht, dass etwas gut für Dich ist. „Normal“ heißt auch nicht, dass etwas Teil Deines Lebens sein muss. Es impliziert nur: Viele Menschen machen das so – oft, ohne drüber nachzudenken. Aber: Du darfst nachdenken. Du darfst Deine eigenen Entscheidungen treffen. Solche, die Dir wirklich guttun.

Meine Programmteilnehmerin Andrea hat genau das geschafft. Letztes Jahr war sie zu Gast bei meiner YouTube-Reihe „Gesichter hinter der Sucht“, nun liegt ein weiteres nüchternes Jahr hinter ihr. Ihr Jubiläum hat sie zum Anlass genommen, einen Text zu verfassen, den ich mit Dir teilen darf:


Andrea

Vor drei Jahren habe ich eine Entscheidung getroffen, die mein ganzes Leben verändert hat: Ich habe aufgehört zu trinken. Und ich kann kaum in Worte fassen, wie tief meine Dankbarkeit darüber heute ist. Wenn ich zurückblicke, erkenne ich, wie sehr ich in eine Normalität hineingewachsen bin, die nie wirklich meine war.

Ich bin in einer Welt aufgewachsen, in der Alkohol einfach dazugehörte. Morgens, mittags, abends – es gab immer einen Grund. Geburtstage, Feiertage, Grillabende, selbst das Feierabendbier war heilig. Ich habe nie gelernt, dass es auch ohne geht. Es war eben „normal“. Und ich? Ich war Teil davon. Lange Zeit ohne zu merken, wie tief ich in etwas hineingerutscht war, das mich mehr und mehr von mir selbst entfernt hat.

Und dann kam dieser Tag. Der 27. März 2022. Es war kein dramatischer Zusammenbruch, keine große Szene – es war ein Moment tiefster Ehrlichkeit mir selbst gegenüber. Mein Körper sprach mit mir. Meine Seele klopfte an. Und in mir rührte sich etwas, das ich lange verdrängt hatte: der Wunsch nach echtem Leben. Es war, als wäre ich in diesem Moment aus meinem Kokon ausgetreten – diesem inneren Käfig, den ich so lange für ein Zuhause gehalten hatte.

Von da an begann mein Weg. Mein Erwachen. Mein Flug.

Ich bin aus meinem Kokon geschlüpft – und wurde zum Schmetterling. Ich habe mich entschieden, den Nebel hinter mir zu lassen und in die Klarheit zu treten. Heute lebe ich nüchtern. Wach. Und lebendig. Nicht als Verzicht – sondern als größtes Geschenk.

Ich habe in dieser Zeit viel über mich gelernt. Habe Persönlichkeitsentwicklung gemacht, einen Coachingprozess durchlaufen, alte Muster hinterfragt. Ich bin mutiger geworden. Wacher. Und ich genieße das Leben heute auf eine Weise, die ich früher gar nicht für möglich gehalten hätte. Es ist alles anders geworden. Und doch bin ich endlich ganz ich selbst.

Ich erzähle das, weil ich weiß, dass viele Menschen denken, sie müssten trinken, um dazuzugehören. Um zu feiern. Um zu genießen. Aber ich habe gelernt: Die wahre Freude beginnt in der Klarheit. Das echte Leben beginnt, wenn wir uns selbst wieder begegnen.

Heute bin ich frei. Und dafür bin ich unendlich dankbar.


Herzlichen Glückwunsch, liebe Andrea. Ich danke Dir und allen anderen, die es möglich gemacht haben, dass wir letzte Woche am Pfingstmontag bereits die zehnte (!) Staffel unserer „Gesichter hinter der Sucht“ gedreht haben. Danke, dass ihr euch zeigt und eure Geschichten erzählt. Ihr macht Mut, ihr seid Vorbilder, ihr verändert Leben und darauf könnt ihr so stolz sein. ❤️

In unserem aktuellen GhdS-Video erzählt Maja ihre Geschichte. Sie trank, um ihre Angst und all die anderen unangenehmen Gefühle kurz mal ausblenden zu können. Warum Trinkregeln kontraproduktiv waren und wieso Maja sich entschieden hat, ganz mit dem Trinken aufzuhören, kannst Du Dir hier ansehen.


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