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06.02.2023

Weinlobby sponsert Ärzte-Fortbildung

Eine meiner Programmteilnehmerinnen ist Pathologin und muss sich – wie alle Ärztinnen und Ärzte – regelmäßig fortbilden. Sie tat dies zuletzt im Bereich „Alkohol und Krebs“. Gesponsert hat diese offizielle Fortbildung allen Ernstes die Deutsche Weinakademie. Dementsprechend wundert mich nicht, was im Begleitmaterial steht. Ich zitiere mal ein paar Passagen und ordne sie ein:

„Der Pro-Kopf-Verbrauch von Reinalkohol in Deutschland ist den letzten vier Jahrzenten [sic!] kontinuierlich gesunken. Männer verzehren aktuell 16 g reinen Alkohol, Frauen 9 g täglich. Im selben Zeitraum hat sich die absolute Zahl der Krebsneuerkrankungen annähernd verdoppelt.“

Diese Gegenüberstellung suggeriert, dass die konsumierte Alkoholmenge nichts mit den Krebserkrankungen in der Bevölkerung zu tun hat. Denn wieso sollten die Krebserkrankungen denn steigen, wo doch der Alkoholkonsum kontinuierlich zurückgeht? Das ist Augenwischerei. Denn der Zusammenhang zwischen Alkoholkonsum und Krebserkrankungen gilt in der Wissenschaft mittlerweile als belegt. Das Deutsche Krebsforschungszentrum schreibt dazu: „Alkoholkonsum zählt zu den wichtigen vermeidbaren Krebsrisikofaktoren. Jedes Jahr gehen in Deutschland etwa 20.000 Krebsfälle auf das Konto von Alkohol.“


Im offiziellen Fortbildungsdokument für Ärztinnen und Ärzte heißt es weiter:

„Nach wie vor gibt es keine einheitlichen, international verbindlichen Empfehlungen zur gesundheitlich unbedenklichen Höchstmenge reinen Alkohols. Die BZgA empfiehlt als Obergrenze 12 g Alkohol pro Tag für Frauen und bis zu 24 g für Männer.“

Es stimmt, dass es keine international einheitlichen Grenzwerte gibt. Was nicht stimmt ist, dass die BZgA diese Obergrenzen „empfiehlt“. Diese Wortwahl verbindet Alkohol sprachlich mit etwas Positivem und verfälscht die eigentliche Aussage. Denn selbst unterhalb dieser Grenzwerte spricht die BZgA nicht von einer „gesundheitlich unbedenklichen Höchstmenge“, sondern lediglich von „risikoarmem Alkoholkonsum“. Das ist ein großer Unterschied.


Weiter heißt es im offiziellen Fortbildungsdokument für Ärztinnen und Ärzte:

„Alkoholbedingte Risiken ergeben sich jedoch nicht allein aus den konsumierten Alkoholmengen. Sie variieren je nachdem, welche Trinkmuster und Lebensstilfaktoren zugrunde liegen. Aktuelle Metaanalysen zeigen, dass ein leichter bis moderater Alkoholkonsum Krebsrisiken sowohl erhöhen als auch senken kann, je nach Tumorentität. Günstige Effekte lassen sich vor allem dann beobachten, wenn ein ‚mediterranes Trinkmuster‘ gepflegt wird. Dieses ist gekennzeichnet durch einen regelmäßigen moderaten Konsum, insbesondere von Wein, zum Essen.“

Hier ist mir die Kinnlade auf den Tisch gefallen. Denn das ist schlichtweg falsch. Faktisch falsch, gemäß dem aktuellen Forschungsstand. Der da lautet: Es gilt als gesichert, dass bereits geringer und moderater Konsum Krankheiten auslösen kann, allen voran Bluthochdruck und Brustkrebs. Dabei ist es egal, ob jemand „mediterran“ trinkt. Es ist egal, ob er Schnaps oder Bier oder Rotwein trinkt. Wer Alkohol konsumiert, riskiert, dadurch krank zu werden. Ab dem ersten Tropfen. Es gibt keinen gesunden Alkoholkonsum. Am gesündesten ist die Abstinenz, nicht der geringe Konsum.

Sollte nicht der aktuelle Forschungsstand bei solchen Fortbildungen Standard sein? Dazu sind sie doch da, oder nicht? Um auf dem Laufenden zu bleiben. Aber nein: Ärztinnen und Ärzte lesen in aktuellen, offiziellen Fortbildungen Worte wie die oben zitierten. Warum? Nun, als ich erfahren habe, dass die Deutsche Weinakademie diese Fortbildung sponsert, bekam ich meine Antwort. Wenn es nicht so traurig wäre, hätte ich fast lachen müssen.


Und weißt Du was? Der Sponsor stand noch nicht einmal direkt im Dokument. Dort steht am Ende lediglich ein Punkt namens „Transparenzinformation“. Da heißt es:

„Ausführliche Informationen zu Interessenkonflikten und Sponsoring sind online einsehbar unterhalb des jeweiligen Kursmoduls.“

Und dort erst hat meine Programmteilnehmerin den Sponsor gesehen. Aha. Warum steht das nicht direkt im Dokument? Weil es vielleicht skeptisch stimmen könnte, eine solch alkoholverherrlichende Darstellung in direktem Zusammenhang mit dem Sponsor „Deutsche Weinakademie“ zu sehen?


Ich habe das Dokument noch Prof. Dr. Ulrich John geschickt, ehemaliger Direktor des Instituts für Sozialmedizin und Prävention der Universitätsmedizin Greifswald. Herr John beobachtet das Treiben der Alkohollobby schon seit vielen Jahrzehnten. Seine Antwort:

Liebe Frau Stüben,

man darf sich bei Fortbildungen weder von der Tabak- noch von der Alkoholindustrie finanziell oder sonstwie unterstützen lassen. Das Papier ist unverantwortlich, weil es eine verharmlosende und irreführende kausale Sprache enthält. […] Wenn wir in der Forschung weiter vorankommen, wird den Alkoholproduzenten noch mehr als bisher die Grundlage entzogen für die Empfehlung risikoarmer Trinkmengen. Aber heute bereits reicht die Evidenz, um zu sagen: Jeglicher Alkoholkonsum birgt ein Risiko und sollte daher reduziert und am besten unterlassen werden. Das haben Sie bei “hart aber fair” exakt auf den Punkt gebracht. Die Alkoholhersteller werden sich vor Freude auf die Schulter klopfen, dass sie es schaffen Ärztefortbildungen zu fördern.

Viele Grüße, 
Ulrich John


Danke fürs Lesen. Danke, dass Du Dich informierst. Falls dich die Details dazu näher interessieren, schau dir mal den Artikel von Prof. Dr. Ulrich John im aktuellen Jahrbuch Sucht an (kostenpflichtig). Oder mein YouTube-Video zum Thema Ist ein bisschen Alkohol (wirklich) gesund?. Oder den Faktencheck von hart aber fair. Oder auch mein YouTube-Video zum Thema Die Lüge vom Genusstrinken.


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