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12.09.2022

Wenn Forschende der Hass trifft

Letzte Woche war ich drei Tage lang auf einem Suchtkongress. Und mir ist vieles klar oder klarer geworden. Zum Beispiel, dass die Debatte darüber, inwieweit Sucht nun eine Krankheit des Gehirns ist, noch immer aktuell ist. Oder dass Wissenschaft nach wie vor darum bemüht ist, sich selbstkritisch zu betrachten und eigene Fehler aufzudecken – mittlerweile aber aufpassen muss, dadurch keinen Applaus von der falschen (nämlich gänzlich wissenschaftsfeindlichen) Seite zu bekommen. Oder dass es wohl wahre Grabenkämpfe gab zwischen abstinenzorientierter und akzeptanzorientierter Suchtarbeit. Also zwischen jenen mit der Auffassung, man solle Betroffene zur Abstinenz bewegen, weil das nunmal die optimale Lösung sei, und jenen mit der Auffassung, dass die Betroffenen ihre Ziele autonom festlegen sollten, weil die Selbstbestimmung der Einzelnen wichtiger sei. Diese verschiedenen Positionen gibt es heute natürlich auch noch, aber da scheint es in den vergangenen Jahrzehnten Annäherung gegeben zu haben.

Es war auch cool, all diese Forscherinnen und Forscher live zu erleben. Die meisten kannte ich bisher nur aus ihren Fachartikeln oder aus Interviews. Viele kannte ich noch gar nicht. Eine Frau, PD Dr. Eva Hoch, ist mir im Vorfeld allerdings schon häufiger aufgefallen, weil sie sich so gut mit Cannabis auskennt. Und weil ich mal gelesen habe, dass sie dadurch in einen Shitstorm geriet – was schnell passieren kann, wenn man sich heutzutage zum Thema Cannabis äußert. Bei ihr war es so, dass sie in einem Vortrag über die Gefahren des Cannabiskonsums sprach – die es ja zweifelsohne gibt, auch wenn manche das nicht hören wollen. Allerdings wurde im Anschluss an ihren Vortrag ein Artikel veröffentlicht, in dem wohl sinngemäß – und fälschlicherweise – stand: Forscherin gegen Legalisierung.

Ich weiß nicht, ob Du schon mal gesehen hast, wie ekelhaft das Internet Menschen behandelt, die sich gegen die Legalisierung von Cannabis aussprechen (ob nun vermeintlich oder tatsächlich). Bei dieser Wissenschaftlerin war es jedenfalls so, dass sie auf Twitter über Wochen beschimpft, beleidigt und diskreditiert wurde. Am Ende erhielt sie sogar Morddrohungen. Erst, als sie ihren Twitter-Account löschte, kehrte Ruhe ein.

Mir wird bei sowas ganz anders. Da werden Menschen mundtot gemacht, die gute und wertvolle Arbeit leisten. Da überlegen die Besten ihres Fachs sich plötzlich drei Mal, ob sie öffentlich sprechen. Expertinnen, die unbedingt öffentlich sprechen sollten, weil sie verdammt gute Arbeit leisten und mit ihrem Wissen einen gesellschaftlichen Mehrwert schaffen.

Ich hatte an einem der Kongresstage beim Mittagessen das Glück, sie persönlich kennenzulernen, weil an ihrem Stehtisch noch Platz war. Sie unterhielt sich mit zwei anderen Wissenschaftlerinnen. Ich stellte mich dazu, wir kamen ins Gespräch und irgendwann sagte sie: „Die meisten Cannabisforscherinnen sind übrigens weiblich. Ich konnte mir lange nicht erklären, woran das liegt.“ Und dann fügte sie mit einem Augenzwinkern hinzu: „Bis eine australische Kollegin zu mir meinte: ‚Of course they are, because the plant is female‘.“ Natürlich, weil die Pflanze auch weiblich ist. 😉

Ich musste sehr lachen. Und dachte mir: Genau solche Menschen brauchen wir in unseren Debatten.


PS: Falls Dich das Thema Hass gegen Wissenschaftler interessiert, empfehle ich Dir diesen Artikel hier.

Falls Dich das Thema „Ist Sucht eine Krankheit des Gehirns?“ interessiert, lies gern Kapitel 6 meines Buchs „Ohne Alkohol: Die beste Entscheidung meines Lebens“.

Und falls Dich meine Position im Streit abstinenzorientierte vs. akzeptanzorientierte Suchtarbeit interessiert, schau Dir gern dieses Video hier an.


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