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13.06.2022

Romana: „Nicht mehr Teil von diesem Spiel“

Immer wieder erreichen mein Team und mich Geschichten, die uns bewegen, zum Lachen bringen und oft auch zu Tränen rühren. Eine davon stammt von meiner Podcasthörerin Romana, und ich darf sie heute mit Dir teilen:


Romana

Ich bin 34 Jahre alt, werde bald 35. Meinen ersten Rausch hatte ich mit 14. Damals fing ich an, mit meinen Freundinnen auszugehen. Da ich ein unsicherer Teenager war, ging das für mich nur in Verbindung mit Alkohol. Alkohol wurde mein Booster. Aber von Anfang an kannte ich kein Maß. Zwei Gläser trinken? Wozu bitte? Entweder ganz oder gar nicht. Und „gar nicht“ war eigentlich keine Option, also war es immer nur ganz. Ich war schon als Teenager bekannt dafür, dass ich viel trinke. Aber damals war man da halt auch irgendwie cool. Fatal.

Es folgte eine 20 Jahre dauernde „Alkoholkarriere“. Mein Highlight der ganzen Woche: das Wochenende. Party, trinken, tanzen, abschalten. Ein Wochenende ohne Ausgehen und Saufen? Unvorstellbar. Jetzt im Nachhinein wird mir klar, dass ich nicht ausgegangen bin, weil ich tanzen, quatschen und Spaß haben wollte. Ich wollte einfach nur trinken. Und ich war ständig auf der Suche nach Anerkennung und Liebe. Es folgten unzählige Männergeschichten. Keine Ahnung, wer sie waren, wie sie hießen, wie sie aussahen. Wenn ich für jeden „Walk of Shame“ nach Hause einen Euro bekäme, könnte ich mir schon was wirklich Hübsches dafür kaufen. Es folgten Absturz um Absturz, Blackouts, unmögliche Situationen, die ich im Suff kreiert habe.

Was für mich in meinem Leben das Krasseste war: Ende 2018 bekam ich die Diagnose Brustkrebs. Triple-negativer Brustkrebs, der besonders aggressiv ist. Nach dieser Diagnose bin ich erstmal trinken gegangen. Alkohol war schließlich immer mein Mechanismus, um zu verdrängen und mich besser zu fühlen. Am nächsten Tag ging ich mit einem mörderischen Kater ins Krankenhaus zu den notwendigen Untersuchungen. Ich bekam dann Chemo verordnet. Zwischen den einzelnen Anwendungen waren immer drei Wochen Pause – in denen ich weitergetrunken habe, als wäre ich nicht schwer krank, würde nicht um mein Leben kämpfen. Ich muss dazu sagen, dass ich die Chemos glücklicherweise sehr gut vertragen habe und ich nach einem Dreivierteljahr und diversen OPs den Krebs überstanden hatte. Bis heute, Gott sei Dank. Aber der Alkohol hat mich stets weiterbegleitet.

2019 kam dann eine Depression dazu. Mein schlimmste Episode waren drei Tage im Bett. Ich bin von Bett zu WC gependelt, das drei Meter vom Schlafzimmer entfernt war. Mehr war nicht drin. Ich war ausgesaugt, ich konnte nicht mehr. Ich bekam dann Antidepressiva verschrieben. Mit denen ging es mir vermeintlich besser. Aber getrunken habe ich natürlich trotzdem weiter, jetzt halt in Kombi mit Antidepressiva. Dann kam Corona. Ich musste nicht ins Büro, hatte Kurzarbeit und Home Office. Drei Monate lang. Keine Freunde sehen, nirgendwo hingehen. Und ich trank immer mehr. War ja eh schon alles egal, ich musste nicht mal mehr etwas verstecken, weil: sieht mich ja eh niemand.

Im März 2021 habe ich einen ganz tollen Mann kennengelernt. Mit ihm bin ich seitdem auch zusammen und mega glücklich. Aber in unserer Anfangszeit habe ich mein Trinken versteckt. Habe meinem Liebsten eine gute Nacht gewünscht – ich bin ja schon so müde und muss ins Bett. Was ich wirklich musste: mir eine Pulle Wein aufmachen. Und da war er mir ‚im Weg‘. Denn er würde ja am Schreibstil merken, dass ich anders schreibe. Geschweige denn telefonieren. Nee, der soll schön denken, dass ich wie ein Engel schlafe, während ich hier mit meinen inneren Dämonen Party mache. So hat es auch eine Zeit gedauert, bis er merkte, dass ich wirklich ein Problem hatte. Aber er liebt mich wirklich sehr und war mir auch nie richtig böse. Selbst wenn ich ihm betrunken mal wieder Sachen an den Kopf geknallt habe, die gar nicht existent waren, sondern Storys, die mein Hirn gerade konstruiert hatte. So Sachen wie: “Er betrügt mich sicher, denn er hat gestern fünf Sekunden länger mit jemanden geschrieben. Das kann ja nur eine andere Frau sein.” Und das war völliger Bullshit. Aber im Suff hab ich mir gedacht: „Ja klar, muss so sein. Alles andere ergibt ja keinen Sinn.“ Lauter solche Geschichten.

Ich wusste schon länger, dass der Zeitpunkt bald kommen muss, an dem ich etwas ändere. Dieser Zeitpunkt war vor knapp drei Wochen. Ich hatte eine Freundin da, die sich gerade frisch von ihrem Freund getrennt hatte. Wir saßen lange auf unserer Terrasse. Sie klagte mir ihr Leid, ich trank und gab hochphilosophische Ratschläge. Das konnte ich in betrunkenem Zustand auch extrem gut. 😉 Sie trank zwei oder drei Gläser Wein, ich den Rest der beiden Flaschen. Sie ging irgendwann heim und ich hatte das Gefühl in mir: „Heute lasse ich es eskalieren. Ich muss es eskalieren lassen, sonst hört es nie auf.“ Und das tat ich. Mein Freund war schon lange im Bett. Ich holte die dritte Flasche Wein und dachte: „Die trinke ich jetzt noch. Und dann ist es vorbei. Mein Freund wird sauer sein und mir sagen, ich soll aufhören mit dem Scheiß.“ Und so hat es sich auch zugetragen. Er war zwar nicht sauer, er hatte eher Angst um mich, aber er sagte: „Was war das denn gestern? Wir müssen darüber reden.“ Sowas war früher mein größter Horror, auf keinen Fall wollte ich darüber reden. Aber diesmal dachte ich mir: „JA! Genau. Wir müssen darüber reden.“

Das ist jetzt knapp drei Wochen her. Und ich habe seitdem keinen Tropfen Alkohol mehr getrunken. Noch vor vier Wochen undenkbar für mich. Ich habe auch gar keine Lust darauf. Ich sehe die Leute mit ihrem Aperol im Gastgarten und denke mir: Wie eklig ist unsere Gesellschaft eigentlich, dass es das Normalste auf der Welt ist, an jedem Wochentag zu jeder Tageszeit Alkohol zu trinken, und wir finden das alle in Ordnung?! Ich will nicht mehr Teil von diesem Spiel sein. Ich vermisse es nicht. Dieses wohlige Anfangsgefühl ist bei mir ja ganz schnell weg, weil ich mich dann schon im Laufschritt auf dem Weg Richtung Rausch befinde. Dann lalle ich, rede Müll, stolpere über alles, verliere Sachen und weiß nicht mehr, wie ich heim oder ins Bett gekommen bin. Und das sind diese paar Minuten wohliges Gefühl niemals im Leben wert. Ich will auch keinen Tag meines Lebens mehr vergeuden, an dem es mir schlecht geht, ich Kopfschmerzen habe und zu nichts richtig in der Lage bin, sondern einfach nur irgendwie funktioniere.

Ich stehe noch ganz am Anfang meiner Abstinenz, aber ich merke einfach, wie sich in mir ein Schalter umgelegt hat. Nach 20 Jahren! Ich merke, wie ich mich jeden Tag besser fühle. Und wie mich mein Freund jeden Tag mehr liebt, weil er so froh ist, mich endlich nicht mehr mit dem Alkohol teilen zu müssen. Ich werde Tag für Tag weitergehen, auch wenn ich weiß, dass es wahrscheinlich nicht immer so einfach sein wird wie jetzt gerade. Es hilft mir sehr, Geschichten von Menschen zu hören, die exakt die gleichen inneren Kämpfe führten. Die so viel Scham und Reue empfanden für Dinge, an denen sie selber schuld waren. Ich erkenne mich in jeder einzelnen Geschichte wieder. Und ich will nicht mehr dieser ekelhafte Mensch sein. Ich will nichts mehr verstecken und kaschieren müssen. Ich will leben. Mehr denn je!


In meinem aktuellen YouTube-Video geht es übrigens darum, warum unsere Kinder eben nicht mit dem Eindruck aufwachsen müssen, dass Alkohol das Normalste der Welt ist – und wie Du ohne erhobenen Zeigefinger dazu beitragen kannst. Wenn Dich das interessiert, bitte hier entlang.


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