Die Alkoholindustrie erzielt 50% ihrer Umsätze mit Menschen, die riskant oder hochriskant Alkohol trinken. Vieles spricht sogar dafür, dass es noch deutlich mehr sind. Der wissenschaftliche Fachartikel dazu ist nun erschienen. Ich fasse ihn Dir hier mal so zusammen, wie ich Dir davon erzählen würde.
Gesundheitsziele vs. Wirtschaftsinteressen
Wollten wir frühzeitige Todesfälle und vermeidbare Zivilisationskrankheiten eindämmen, könnten wir bei einem der größten Risikofaktoren dafür anfangen: Alkoholkonsum. Gerade in Deutschland könnten Maßnahmen wie Marketingverbote, Preiserhöhungen oder Einschränkungen der Verfügbarkeit viele Leben retten. Wir zählen zu den Hochkonsumländern. Und wenn eine Bevölkerung viel trinkt, dann wirkt sich das auf Todesfälle und Krankheitslast aus. Hochkonsum ist teuer, sowohl volks- als auch betriebswirtschaftlich. Vor allem aber auch emotional.
Es wäre so logisch, Rabattaktionen zu verbieten, die dazu führen, dass Menschen mit einem Kasten Bier aus dem Supermarkt marschieren, obwohl sie zwei Flaschen kaufen wollten. So einleuchtend, Alkohol nicht rund um die Uhr und ausgerechnet an Tankstellen zu verkaufen. Ihn nicht in kleinen Flaschen an der Kasse zu platzieren, sondern in gesonderten Ladenbereichen oder eigenen Läden. Jedem, der einmal kurz darüber nachdenkt, ob Alkoholwerbung auf die Trikots von Kindersportveranstaltungen gehört, müsste einleuchten, wie schief das ist. Und wer liest, dass unser Agrarminister Steuergeld in Weinwerbung investieren möchte, kann eigentlich nur mit dem Kopf schütteln.
Politik formt Lebensrealitäten. Wenn Krippenplätze verfügbar sind, steigen Frauen früher wieder ins Berufsleben ein. Wenn es Strafgeld kostet, sich nicht anzuschnallen, sinken die Todesopfer bei Autounfällen. Gesetze steuern gesamtgesellschaftliches Verhalten. Offiziell verfolgt der deutsche Staat Gesundheitsziele wie jenes, den Alkoholkonsum der Bevölkerung zu reduzieren. In der Umsetzung dieses Ziels scheitert er krachend, weil da eine Industrie mitmischt, die so reich und mächtig ist, dass selbst die offenkundigsten Maßnahmen wie das Abschaffen des „begleiteten Trinkens“ von Jugendlichen ab 14 Jahren lediglich diskutiert werden.
Die Masche der Alkohollobby
Die Alkoholindustrie gibt sich nach außen hin als Bewahrer von Kultur und als Präventionspartnerin der Politik. Ihre Strategie lautet sinngemäß: Lasst uns mal machen, wir achten schon darauf, Kinder und Jugendliche nicht unnötig zu verführen. Wir drucken tolle Plakate, auf denen „Don‘t drink and drive“ steht und betonen immer wieder, wie wichtig „verantwortungsvoller Konsum“ ist. Super, oder?
Nichts davon ist evidenzbasiert. Im Gegensatz zu Maßnahmen wie Preiserhöhungen oder Verfügbarkeitseinschränkungen fehlen die wissenschaftlichen Belege dafür, dass Selbstregulation und Plakatkampagnen Wirkung zeigen. Könnte das womöglich mit Absicht sein? Könnte es sein, dass die Alkoholindustrie nur so tut, als verhielte sie sich sauber, obwohl sie eigentlich daran interessiert ist, dass möglichst viele Menschen weiterhin möglichst viel trinken?
Die Ergebnisse, die preisgekrönte Wissenschaftler:innen und ich nun in unserem Fachartikel veröffentlicht haben, legen das nahe. Unsere Arbeit zeigt: Die Hälfte des Alkoholumsatzes hierzulande geht auf Gruppen zurück, die Alkohol im riskanten und hochriskanten Bereich konsumieren: 36% des Alkoholumsatzes entfallen auf Personen mit riskantem Konsum, 14% auf Personen mit hochriskantem Konsum.

Eigentlich sind es noch deutlich mehr.
Unsere Berechnungen sind konservativ. Vieles spricht dafür, dass der Anteil der Einnahmen, den die Alkoholindustrie mit riskantem und Hochkonsum macht, sogar noch deutlich höher liegt. Das liegt zum einen daran, dass Umfragen wie die, deren Daten wir für die Berechnung genutzt haben, Menschen mit hochriskantem Konsum oft gar nicht erreichen, weil sie schon zu krank sind. Mich zum Beispiel hätten sie wahrscheinlich nicht erreicht. Und selbst wenn, ich hätte nicht erzählt, wie viel ich wirklich trinke. Zum einen, weil ich keine Ahnung hatte, wie viel es in meinen Blackout-Nächten tatsächlich war. Zum anderen, weil ich immer untertrieben hätte vor lauter Scham.
Darüber hinaus haben wir mit Grenzwerten für „riskanten Konsum“ gearbeitet, die nicht mehr aktuell sind. Kanada war das erste Land, das seine Empfehlungen dem aktuellen Forschungsstand anpasste und sagte: Nur null Gläser Alkohol sind wirklich sicher und der risikoarme Bereich umfasst 1-2 Gläser pro Woche. In Deutschland korrigierte die Deutsche Gesellschaft für Ernährung ihre Position im Sommer 2024. Auch sie empfiehlt nun, auf alkoholische Getränke zu verzichten, da es „keinen gesundheitsfördernden oder für die Gesundheit risikofreien Alkoholkonsum“ gibt. Als risikoarm gilt demnach, analog zu Kanada, für beide Geschlechter ein Konsum von maximal auf 1-2 kleinen Gläsern pro Woche. Ein erheblicher Anteil von dem, was in unseren Berechnungen unter „niedrig riskant“ fällt, dürfte also oberhalb des risikoarmen Bereichs liegen, da ein risikoarmer Konsum deutlich geringer ausfällt als die Grenzwerte es bisher vermittelten. Unter Verwendung der aktualisierten Grenzwerte wäre der Anteil an Menschen mit einem riskanten Alkoholkonsum also deutlich größer.
Doch bereits ohne diese Aspekte ist die Zahl krass. Sie verdeutlicht: Die Alkoholindustrie generiert mindestens die Hälfte ihres Umsatzes mit Alkoholkonsum, der Individuen und unserer Bevölkerung als Ganzes Schaden zufügt. Würden ihr diese Umsätze wegbrechen, hätte sie ein Problem. Sie hat ein finanzielles Interesse daran, dass wir problematisch trinken und dass vermeintliche Schutzmaßnahmen wie „Drink responsibly“-Kampagnen möglichst wirkungslos verpuffen.
Sollten Dich wissenschaftliche Details dazu interessieren, zum Beispiel dazu, wie wir methodisch vorgegangen sind, wünsche ich Dir viel Freude mit dem Originalartikel.
Ich hoffe, unsere Arbeit hilft Dir dabei zu verstehen, dass DU nicht das Problem bist, wenn Du ein Problem mit Alkohol bekommen hast. Dein Problem ist ein Geschäft. Aber Du bist nicht das Problem.