21.07.2025

Reaktionen: „Für Winzer wird es ungemütlich(er)“

Zu meinem letzten Newsletter kamen über 40 ausführliche Antworten. Manche feiern, dass ich den Finger immer wieder in die alkoholpolitische Wunde lege. Andere haben Sorge um mich und OAMN, wenn ich Dinge anspreche, die der Alkohollobby nicht passen. Wieder andere glauben noch immer, Alkoholprobleme seien etwas Individuelles. Diese letzte Sichtweise hält sich leider hartnäckig, obwohl es keinen Zweifel daran gibt, dass industriefreundliche Alkoholpolitik zu mehr Konsum und damit zu mehr Krankheit, Leid und Tod führt.

Das Ziel von OAMN ist, es Menschen so einfach wie möglich zu machen, dauerhaft und zufrieden nüchtern zu leben. Ein Teil dieser Arbeit liegt darin, auf Tatsachen wie diese hinzuweisen. Einen weiteren sehe ich darin, Diskurs zu ermöglichen. Daher danke ich allen, die mir ihre Meinung geschickt haben. Es war bereichernd, sie zu lesen. Damit wir alle davon profitieren können, habe ich ein paar Ausschnitte zusammengefasst und anonymisiert:


„Die Alkoholindustrie sollte ihre Verantwortung für die Produkte, die sie herstellt, und den Schaden, den ihre Produkte anrichten, zumindest nicht verschweigen. […] Ich hoffe, dass in hundert Jahren, und hoffentlich noch schneller, die Menschen den Kopf darüber schütteln, dass es eine Zeit gab, in der Wein und anderer Alkohol als Genussmittel angesehen wurde. Genuss geht anders!“

„Ich lebe in Südtirol, wo der Weinbau neben Obstbau und Tourismus eine der größten Einnahmequellen ist. […] Wie kann man das Problem angehen? Sicherlich nicht, indem man Winzern mit beiden Füßen ins Gesicht springt. Ich glaube, dass die geduldige Aufklärung der Bevölkerung der richtige Weg sein könnte. Zumindest bei uns ist das schon deutlich bemerkbar. Der Weinkonsum ist rückläufig. Wenn der Winzer sich irgendwann schwer tut seinen Wein an den Mann zu bringen, wird er selbst nach Alternativen suchen.“

„Es ist manchmal schwierig, ‚allein sober‘ unter vielen zu sein. In einer traditionell weinlastig behafteten Gegend zu leben, ist an sich schon manchmal eine Herausforderung. Gerade in der wärmeren Jahreszeit sind viele Veranstaltungen nur in Verbindung mit Wein zu buchen.

Was ich allerdings an persönlichen Anfeindungen erlebt habe, hätte ich mir niemals ausgemalt. Ich habe nie missioniert, sondern im kleinen Rahmen meine eigenen Erfahrungen in Bezug auf die Nüchternheit geschildert. Es sind dann tatsächlich Sätze gefallen wie: ‚dein Denken ist geschäftsschädigend‘ oder auch ‚dann musst du halt wegziehen‘ oder ’naja, aber du bist ja nun mal die Einzige, die das so sieht‘. Am besten aber auch: ‚Du hast doch früher auch mitgetrunken.‘ Stimmt! […]

Mir geht es genauso wie dir, liebe Nathalie: Ich verstehe die Zwänge der Kultur und vielleicht auch die Angst vor Verlusten. Aber diese realitätsfremden Reaktionen auf dein Interview zeigen einmal mehr, wie der Bauern- und Winzerverband tickt. Reflektion? Absolute Fehlanzeige.“

„Zuerst einmal GANZ HERZLICHEN DANK für alles, was ihr bereits bewegt habt. Ihr rückt die Folgen des Alkoholkonsums ins individuelle und gesellschaftliche Bewusstsein. […] Hervorragend fand ich, wie ihr bei OAMN die Resilienz eurer Community gestärkt habt und immer noch stärkt. Hierzu zähle ich Aufklärung, gesellschaftliche Einbindung sowie Ursache-Wirkungs-Erklärungen, um nur einige zu nennen.

Weniger gut finde ich eure zunehmend dogmatisch erscheinende Ablehnung der ‚Grauzone‘ zwischen Alkoholkonsum im Sinne einer Abhängigkeit und gelegentlichem Alkoholkonsum, der ohne negative Folgen für Wohlbefinden und soziale Einbindung bleibt.

„Auch der Tabakanbau in Deutschland galt lange als Kulturgut, besonders in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg. Auch hier mussten die Landwirte umdenken und sich Alternativen suchen, um ihre Felder anderweitig zu nutzen. Es ist also nicht unmöglich, auch die Weinanbaugebiete alternativ zu nutzen. So wie ‚Roth-Händle‘ vom Markt verschwindet, verschwindet vielleicht auch bald der ‚Trollinger‘ (als ein bekannter Name, steht hier für viele) aus den Regalen.“

„Wir leben in einer Weinbauregion und haben viele Weinbauern als Freunde. Du hast recht, dass es nicht einfach ist für diesen Berufszweig, und ich mag die Weinberge mit den Steillagen zu allen Jahreszeiten wirklich gerne. Trotzdem vermisse ich bei allen in meinem Umfeld das aktive Nachdenken, wie es für den eigenen Betrieb weitergehen könnte. Ich bin mir sehr sicher, dass die Soberbewegung nicht mehr aufzuhalten ist und dass nur derjenige betriebswirtschaftlich überleben wird, der entweder auf alkoholfrei setzt oder sich anderen Anbaumöglichkeiten öffnet. Vielen lieben Dank für Deine ganze Arbeit und dafür, dass Du Dich dem immer heftigeren Gegenwind aussetzt.“

„Eine gute Entwicklung sehe ich in dem Engagement von immer mehr Winzern, alkoholfreie Weine zu kreieren. Ich liebe den vielfältigen Geschmack herber, fruchtiger, trockener Weine, aber ich verabscheue den Alkohol darin. Damit bin ich auch nicht alleine. Viele, vor allem junge Menschen, wollen gerne klare Abende und Nächte erleben – und es werden immer mehr.“

„Ich gebe dir 100%ig recht, dass die Verantwortung bei den Verbänden liegt. Sie merken schon, dass sich etwas ändert, aber jetzt schon mit direkten Lösungsansätzen, wie Umnutzung der Gebiete zu kommen, scheint mir persönlich wie mit der Brechstange ins Haus zu kommen. Das wird nicht funktionieren. […] Der Umbruch hat schon begonnen und dazu leisten du und alle anderen Autoren, Mentoren, Psychologen und einfach alle den größten Beitrag.

Macht so weiter! Aber bis das bei den Winzern und Bauern ankommt, das dauert einfach seine Zeit. Und genauso, wie wir einsehen müssen, dass wir Jahre gebraucht haben, um überhaupt unser Problem zu erkennen und somit nicht erwarten dürfen, in zwei Wochen zu heilen, wird auch dieser Lobbygigant sich nicht einfach so verabschieden. Hier ist ebenfalls Geduld geboten. Leider, leider, sehr, sehr große Geduld.“

„Die Winzer für den Alkoholkonsum verantwortlich zu machen, geht mir entschieden zu weit. Bier, Wein und andere alkoholische Getränke gehören tatsächlich zum Kulturgut verschiedener Länder. Keiner wird gezwungen, Alkohol zu trinken und sollte sich bewusst sein, was er tut.“

„Ich meine, du solltest Kritik und Anfeindungen von Seiten der Alkohol-Lobby als Kompliment deiner herausragenden Arbeit auffassen, Menschen zu motivieren und dabei zu unterstützen, sich des Konsums von Alkohol ein für allemal zu enthalten. Und damit ist doch schon so viel gewonnen, sonst würde man dich ja nicht kritisieren oder gar anfeinden. Bitte mache mutig, stark und beherzt (Ev. Kirchentagsmotto Hannover 2025) weiter in deiner so überaus wertvollen Arbeit. Verschwende deine Energien nicht in einer Auseinandersetzung mit der Alkohol-Lobby. Das soll mal die Politik machen (aufmerksam gemacht von Menschen wie dir). […] Du hilfst auf individueller Ebene so vielen Menschen, und allein das hat für mich schon einen zunehmend revolutionären Charakter, zumal deine Arbeit immer bekannter wird.“

„Ich habe über 30 Jahre am Mittelrhein gelebt, DAS Anbaugebiet für Riesling zwischen Mainz und Koblenz. Menschen aus aller Welt besuchen die kleinen mittelalterlichen Orte, um die deutsche ‚Kultur‘ leibhaftig zu erleben. Ich habe im Verkauf gearbeitet und ja, ich habe auch Wein verkauft. Ziemlich viel sogar. Und ja, ich wusste auch wie die Weine schmeckten, da ich sie selbst konsumiert habe, und ja, ich bin dort alkoholabhängig geworden, so wie viele andere Menschen, die dort auch leben.

Wein gehört hier zum guten Ton. Egal, wo man hinkommt – zack, steht ein Gläschen Wein aus dem biologischen Anbau auf dem Tisch. Biologisch, das suggeriert einem direkt, dass das ein besonders ‚gesunder‘ Tropfen sein muss. ‚Du hast Probleme mit Reflux? Kein Problem, ich hab hier nen ganz milden, sehr bekömmlich, dir stößt nichts auf, da kannst du auch die ganze Flasche trinken und stehst immer noch gerade‘, waren meine Argumente im Verkauf. Meine ‚Konsumenten‘ haben solche ‚hilfreichen Tipps‘ auch gerne angenommen. Meist noch bestätigt durch den Kauf einer ganzen Kiste, einen Tag später!

Ich habe mich beruflich und auch privat davon distanziert, ich verkaufe keinen Wein mehr. Ich habe durch meine Art zu verkaufen viele Menschen dazu ermutigt, Wein zu trinken. Ich habe nicht darüber nachgedacht, ob der Mensch ein Problem damit hatte oder nicht, wichtig war der Umsatz.“


Ich hoffe, Dir helfen diese Beiträge ebenfalls dabei, Deine Position zu schärfen. Wir leben ja zum Glück noch in einem Land, in dem es möglich ist, Kritik an den mächtigen Playern zu äußern und damit zu gesellschaftlichem Wandel beizutragen.

Danke fürs Lesen und eine schöne Woche.


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